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EINZELNE STRAFTATEN

Die einzelnen Straftatbestände finden sich im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches.  Dessen Aufbau ist seit der Entstehungszeit des Strafgesetzbuches im 19. Jahrhundert weitgehend unverändert. Der Besondere Teil gliedert sich in 30 Abschnitte, die orientiert am geschützten Rechtsgut die verschiedenen Straftaten benennen und deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen regeln. 

 

Die ersten fünf Abschnitte regeln das „politische Strafrecht“, also Delikte, die sich gegen die Interessen des Staates richten, wie z.B. die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Daran schließen sich „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“. Darunter fallen Delikte wie Volksverhetzung, also das friedensstörende Aufstacheln zum Hass oder die Beteiligung an einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung. Ein weiterer wichtiger Abschnitt ist der 13. Abschnitt, der die „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ beinhaltet. „Straftaten gegen das Leben“ wie Mord und Totschlag sind im 16. Abschnitt geregelt.  Auf die „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ (17. Abschnitt) und die „Straftaten gegen die persönliche Freiheit“ (18. Abschnitt) folgen die Eigentums- und Vermögensdelikte wie Diebstahl und Raub. Die letzten Abschnitte des Strafgesetzbuches beinhalten  unter anderem Straftaten gegen den Wettbewerb, gegen die Umwelt und Straftaten im Amt. Darüber hinaus sind weitere Straftaten in strafrechtlichen Nebengesetzen wie dem Waffengesetz, Betäubungsmittelgesetz und der Abgabenordnung geregelt, in deren § 370 etwa die Steuerhinterziehung zu finden ist.

MORD UND TOTSCHLAG

Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag und was bedeutet lebenslänglich?

Mord und Totschlag

Mord und Totschlag

Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag?

DER KANNIBALE VON ROTENBURG

Armin Meiwes ging 2001 als "Kannibale von Rotenburg" in die Justizgeschichte ein: Der damals 39-jährige Computerfachmann tötete – auf dessen Wunsch hin – einen Internetbekannten und verspeiste Teile seiner Leiche. Meiwes (M) hatte sein späteres Opfer in einem Kannibalen-Forum im Internet kennengelernt, wo er explizit nach einem Mann gesucht hatte, der sich von ihm schlachten lassen wollte. Der 43-jährige B meldete sich auf M's Aufruf und die beiden verabredeten sich in M’s Haus, in dem dieser eigens einen „Schlachtraum“ eingerichtet hatte. Vor der Tötung trennte M seinem Opfer auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin den Penis ab. M tötete B anschließend mit Messerstichen in den Hals, zerlegte die Leiche und fror die Leichenteile zum späteren Verzehr ein. All dies dokumentierte er mit einer Videokamera. Durch das Ansehen der Videoaufnahmen verschaffte er sich sexuelle Befriedigung.

Der Kannibale von Rotenburg

WIE SOLL NACH DEM NEUEN GESETZ SEXUALISIERTE GEWALT GEGEN KINDER BESTRAFT WERDEN?

Den Sexualdelikten kommt in der öffentlichen Diskussion eine überaus bedeutende Rolle zu. Wie kein anderer Kriminalitätsbereich ist das Sexualstrafrecht anfällig für Empörung, Pauschalisierung und politische Instrumentalisierung. Zuletzt war das Thema Kindesmissbrauch Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung, als dramatische Kindesmissbrauchsfälle in Staufen, Bergisch-Gladbach, Lügde und Münster bekannt wurden. Aus diesem Anlass hat die Bundesregierung den Entwurf für das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorgelegt, durch den die Straftatbestände zum Kindesmissbrauch in §§ 176 bis 176d StGB nF grundlegend neu gestaltet werden. Unter anderem hebt das Gesetz den Strafrahmen für sexuellen Kindesmissbrauch auf ein Mindestmaß von einem Jahr an. Damit wird sexualisierte Gewalt gegen Kinder von einem Vergehen zu einem Verbrechen hochgestuft (ein Verbrechen ist eine Straftat, für die das Gesetz mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr androht).

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder

DIGITALER HASS

Was ist digitaler Hass und was macht ihn so gefährlich?

Digitaler Hass

DAS NETZDG

Den Sexualdelikten kommt in der öffentlichen Diskussion eine überaus bedeutende Rolle zu. Wie kein anderer Kriminalitätsbereich ist das Sexualstrafrecht anfällig für Empörung, Pauschalisierung und politische Instrumentalisierung. Zuletzt war das Thema Kindesmissbrauch Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung, als dramatische Kindesmissbrauchsfälle in Staufen, Bergisch-Gladbach, Lügde und Münster bekannt wurden. Aus diesem Anlass hat die Bundesregierung den Entwurf für das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vorgelegt, durch den die Straftatbestände zum Kindesmissbrauch in §§ 176 bis 176d StGB nF grundlegend neu gestaltet werden. Unter anderem hebt das Gesetz den Strafrahmen für sexuellen Kindesmissbrauch auf ein Mindestmaß von einem Jahr an. Damit wird sexualisierte Gewalt gegen Kinder von einem Vergehen zu einem Verbrechen hochgestuft (ein Verbrechen ist eine Straftat, für die das Gesetz mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr androht).

STRAFBARKEIT DES CONTAINERNS

Ist es strafbar, weggeworfene Lebensmittel aus Abfall-Containern eines Supermarktes zu entwenden? Ja, entschieden zwei bayerische Gerichte – das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Urteile.

Im Jahr 2019 wurden zwei Studentinnen, die den Abfallcontainer eines Supermarktes aufgebrochen und entsorgte Lebensmittel entnommen hatten, wegen Diebstahls schuldig gesprochen. Nachdem das Bayerische Oberste Landesgericht das Urteil bestätigt hatte, wandten sich die Studentinnen an das Bundesverfassungsgericht. Die eingelegte Verfassungsbeschwerde blieb jedoch ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgerichts darf in derartigen Fällen grundsätzlich nur eingreifen, wenn Fachgerichte gegen das Willkürverbot verstoßen. Die Karlsruher RichterInnen lehnten dies im Fall der Studentinnen ab.

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Das Entwenden von Lebensmittel aus dem Abfall-Container erfüllt den Tatbestand des Diebstahls – es werden bewegliche Sache weggenommen. Die Lebensmittel sind auch fremd, da der Supermarktinhaber sein Eigentum auch durch das Wegwerfen nicht aufgegeben hat: Er hat in aller Regel ein Interesse daran, dass abgelaufene Lebensmittel nicht von Dritten aus den Containern genommen werden. Die Frage, ob ein solches Verhalten auch strafwürdig ist, ist jedoch eine andere. Die Verurteilung der Studentinnen führte zu verschiedenen Initiativen zur Entkriminalisierung des „Containerns“. Letztlich obliegt es dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob die derzeitige Rechtslage zu Gunsten einer nachhaltigen Nutzung von Lebensmitteln angepasst werden sollte.

Containern
Tötung auf Verlagen

TÖTUNG AUF VERLANGEN

VOM STAAT VERORDNETE VERGEWALTIGUNG: WER IST TÄTER*IN?

Strafbarkeit in "The Handmaid's Tale"

Strafbarkeit in der Serie „The Handmaid’s Tale“

Ein Beitrag von Paula Roschig*

Zwingt ein Mann eine Frau zum Geschlechtsverkehr, scheint die Einteilung von Täter und Opfer erst einmal eindeutig. Komplizierter wird es jedoch, wenn der Staat involviert ist und Vergewaltigungen gesetzlich anordnet, um das Fortbestehen seiner Bevölkerung zu garantieren. Genau das passiert in der Serie „The Handmaids’s Tale“ und wir fragen uns: Wer ist hier Täter*in?

Das 21. Jahrhundert hat begonnen und Umweltzerstörung und Geschlechtskrankheiten führen zu einer weltweiten Unfruchtbarkeit. Immer weniger Kinder werden geboren und die Menschheit beginnt, sich um ihre Zukunft zu sorgen.

Eine Sekte namens „Die Söhne Jakobs“ nutzt die Gunst der Stunde und erschafft in einem gewaltsamen Umsturz die christlich-fundamentalistische Militärdiktatur „Gilead“.

In dem patriarchalen System ist die Rollenverteilung schnell klar: Männliche Kommandeure regieren das Land, die Ehefrauen und Dienerinnen führen ihre Haushalte und alle gebärfähigen Frauen werden zu „Dienstmägden“ (Handmaids) versklavt. Kinder sind fortan das höchste Gut, wer verhütet, abtreibt oder Kinder über die Grenze schmuggelt, wird öffentlich hingerichtet.

Die Dienstmägde werden den reichen Haushalten zugeteilt und haben sich an ihren fruchtbaren Tagen der „Zeremonie“ zu unterwerfen. Dabei wird Bezug auf ein Bibelzitat genommen, in dem Jakob sich eine Magd „leiht“, um im Beisein seiner unfruchtbaren Frau Rahel Kinder zu zeugen. Die Dienstmagd legt sich im Rahmen des Rituals in den Schoß der Ehefrau und wird von ihr festgehalten, während der Ehemann den Geschlechtsverkehr vollzieht. Wird sie schwanger, muss sie das Kind sofort nach dem Abstillen abgeben und wird dann dem nächsten Haushalt zugeteilt. Die Dienstmägde sind also nichts weiter als lebende Gebärmaschinen.

In der auf dem Roman von Margaret Atwood beruhenden Serie wird der Alltag der Dienstmagd June beschrieben. Ihr Leben in Gilead wird nicht nur vom Überleben und dem Versuch, sich dabei noch treu zu bleiben, bestimmt, sondern auch von der Suche nach ihrer Tochter. Dabei wird auch ihr Umgang und ihre Wahrnehmung der monatlichen „Zeremonie“ dargestellt, durch die sie ihre Funktion im Fortpflanzungsapparat erfüllen soll.

Trailer für die erste Staffel

Bei solch einer komplexen Situation haben wir uns gefragt, ob und wie sich die Beteiligten nach dem deutschen Sexualstrafrecht strafbar gemacht hätten. Wer ist hier Täter*in?

 

In § 177 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs wird der sexuelle Übergriff unter Strafe gestellt. Ein sexueller Übergriff liegt vor, wenn der Täter eine sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person an dieser vornimmt, von ihr vornehmen lässt oder sie zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen bestimmt. Zur Vergewaltigung wird der Übergriff gemäß § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuches dann, wenn der Täter durch Eindringen in den Körper des Opfers den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt.

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Quelle:  The Handmaid's Tale, Staffel 3 Folge 10 | Network: Hulu

In der Serie führen die Hausherren den Geschlechtsverkehr an den Dienstmägden aus. Diese wehren sich teilweise, schreien oder betteln um Gnade. Der entgegenstehende Wille der Frauen ist deutlich und für alle erkennbar. Auf den ersten Blick scheint also eine Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB vorzuliegen. Genauso käme auch eine sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 5 Nr. 1, 3 StGB in Betracht, da die Männer teilweise Gewalt anwenden, um die Frauen festzuhalten, oder das Festhalten durch die Ehefrauen zur Penetration ausnutzen.

 

Manche der Dienstmägde äußern ihren entgegenstehenden Willen bei der „Zeremonie“ nicht. Sie ertragen das Geschehen apathisch und regungslos. Sie wissen genau, dass ihre Weigerung mit dem Tod bestraft werden kann. Für Situationen in denen den Betroffenen die Äußerung des entgegenstehenden Willens nicht möglich oder unzumutbar ist hat der Gesetzgeber ebenfalls in § 177 Abs. 2 StGB eine Bestrafung angeordnet, wenn der Täter – wie hier – eine Lage ausnutzt, in dem das Opfer bedroht oder zur sexuellen Handlung genötigt wird. Auch in diesen Fällen ist das Verhalten strafbar.

Die Situation scheint also erstmal recht klar. Die Hausherren vergewaltigen die Dienstmägde und wären damit als Täter zu bestrafen.

 

Problematischer scheint hingegen eine mögliche Strafbarkeit der Ehefrauen. Während der Vergewaltigung halten sie die Handgelenke der in ihrem Schoß liegenden Frauen fest. Dass es sich hier nicht nur um eine symbolische Geste handelt, wird spätestens in Szenen deutlich, in denen sich die Opfer versuchen loszureißen und von den Ehefrauen gewaltsam niedergedrückt werden.

Seit 2016 ist Vergewaltigung kein eigenhändiges Delikt mehr. Von eigenhändigen Delikten spricht man, wenn nur die Person Täter*in sein kann, die die Ausführungshandlung auch selbst vornimmt. Bei Vergewaltigung genügt es seit der Reform auch, wenn die Täter*innen die sexuelle Handlung durch einen anderen vollziehen lassen. Indem die Ehefrauen die Abwehrchancen des Opfers stark beeinträchtigen und somit gleichermaßen zu der Vergewaltigung beitragen, sind sie genauso wie die Männer zu bestrafen.

So erstaunlich es klingt: Die Ehefrauen scheinen genauso wie die Ehemänner Vergewaltiger*innen im Sinne des deutschen Strafrechts zu sein.

 

Bei der rechtlichen Bewertung ist jedoch auch die Rolle des autoritären und faschistischen Staates Gilead entscheidend, der die Vergewaltigungen gesetzlich anordnet.

Im Strafrecht gibt es die Fälle der „Organisationsherrschaft in Machtapparaten“, dabei werden neben den unmittelbaren Täter*innen auch die Hintermänner bestraft, als sogenannte „Täter hinter dem Täter“. Das soll hierarchische Organisationsstrukturen berücksichtigen, in denen Menschen scheinbar keine andere Wahl haben.

In Deutschland wurde das Instrument der Organisationsherrschaft durch den Bundesgerichtshof erstmals mit Blick auf die Mauerschützenfälle anerkannt, bei denen nicht nur die Grenzsoldaten, sondern auch Mitglieder des Nationalen Verteidigungsapparates für die Tötungen von Menschen an der Berliner Mauer verurteilt wurden. Solche Machtapparate zeichnet es aus, dass Personen auf Anweisung eines Befehlshabers Straftaten begehen.

Gilead kann ohne weitere Probleme als „Unrechtsregime“ verstanden werden, der unter dem Grundsatz der Willkür und Ungleichwertigkeit handelt. Eben durch diese brutalisierte Machtausübung sind die unmittelbar Handelnden auch stärker willens, die Frauen zu vergewaltigen. Schließlich wollen sie nicht die nächsten sein, die hingerichtet werden. Von wem die Dienstmagd vergewaltigt wird, ist für die Gründer und Herrscher des Staates egal. Damit liegen die Voraussetzungen für die „Organisationsherrschaft in Machtapparaten“ vor. Die Vergewaltigungen sind folglich auch den Personen zuzuschreiben, die den Staat Gilead und seine Vergewaltigungsanordnungen geschaffen haben.

Quelle:  The Handmaid's Tale, Staffel 3 Folge 6 | Network: Hulu

In Gilead herrschen strikte Hierarchien und strenge Vorgaben, die gewaltsam durchgesetzt werden. Staatsfeinde wie Homosexuelle, Intellektuelle, Aktivist*innen oder Andersgläubige werden ohne jede Vorwarnung öffentlich ermordet, um die Staatsmacht zu demonstrieren und die Bevölkerung zu warnen. Um den Nachwuchs zu sichern, werden die Zeremonien nicht nur vorgeschrieben, sondern auch kontrolliert und durchgesetzt. Dabei werden kinderlosen Haushalten demonstrative Besuche abgestattet, Dienstmägde regelmäßig medizinisch untersucht und Männer gesteinigt, die Dienstmägde zu Lustzwecken, anstatt zur Fortpflanzung missbrauchen. Das geht so weit, dass den Vergewaltigungen beigewohnt wird, sollte an ihnen gezweifelt werden. In dieser Gesellschaftsordnung sind zwar die vergewaltigten Frauen die Hauptbetroffenen, aber auch einige der ausführenden Männer und Frauen leiden unter der Ausweglosigkeit der Situation. Obwohl sie die staatlich verordneten Vergewaltigungen nicht durchführen wollen, müssen sie mit brutalen Konsequenzen rechnen, sollten sie sich den Zeremonien verweigern. In solchen Fällen riskieren sie es öffentlich hingerichtet zu werden.

 

Das Thema der Gewalt in Unrechtsregimen ist sehr komplex und vielschichtig, eine einfache und klare Lösung erscheint kaum möglich. Sofern die Vergewaltigungen aufgrund der Zwangslage ausgeführt werden, wirkt die Bestrafung der Ehemänner und -frauen allerdings ungerecht, da sie die Tat nur deshalb begehen, um nicht hingerichtet zu werden. Solche Fälle werden im deutschen Strafrecht als „Nötigungsnotstand“ bezeichnet. Die genaue Behandlung des Nötigungsnotstandes ist in der Strafrechtswissenschaft umstritten. Dennoch ist es allgemein anerkannt, dass das Verhalten nicht bestraft werden kann. Da den vermeintlichen Täter*Innen hier die öffentliche Hinrichtung und damit der Tod droht, spricht vieles dafür einen entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB anzunehmen. Nach dieser Norm wird nicht bestraft, wer die Tat zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren, gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit für sich oder Angehörige begeht. Dies könnte der entscheidende Unterschied zur Strafbarkeit der DDR-Grenzsoldaten in den sog. „Mauerschützenfällen“ sein. Den Soldaten drohte keine gegenwärtige, unmittelbare Gefahr. Sie handelten aufgrund von Anweisungen und Befehlen, deren Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres einsichtig und offensichtlich war.

 

 

Wir halten also fest:

Die die „Zeremonie“ unmittelbar ausführenden Hausherren und die Ehefrauen erfüllen den Tatbestand der Vergewaltigung. Da sie allerdings in einem System leben, in dem sie keine andere Möglichkeit haben, ohne den Tod in Kauf zu nehmen, spricht vieles dafür, dass sie nach § 35 Strafgesetzbuch entschuldigt sind und sich nicht strafbar gemacht haben.

Das Ganze gilt aber natürlich auch nur in den Grenzen der staatlichen Regeln, sobald die Täter*innen die Wahl haben, sind auch sie voll verantwortlich für ihr Handeln. So sind per Gesetz beispielsweise die Vergewaltigungen nur an den drei fruchtbaren Tagen vorgeschrieben. In der Serie ist aber auch zu sehen, wie eine Ehefrau aus ihrem unbedingten Kinderwunsch heraus die Vergewaltigung außerhalb dieses Zeitraums erzwingt, dabei auch mit dem des Hauses. Diese Handlungen sind nicht Teil der Notlage, die Ehefrau ist damit selbst unmittelbare Täterin.

 

Das sind natürlich theoretische Überlegungen. Praktisch stellt sich die Frage, wer hier wen verurteilen soll und wie Strafen in so einem Militärstaat von außen vollzogen werden sollen. Auch in der Serie sieht man die Probleme, denen sich angrenzende Staaten wie Kanada, aber auch Bündnisse wie die UN gegenübersehen: Wem kann man in einem Überwachungsstaat überhaupt vertrauen? Welcher Darstellung darf man glauben? Wie können Dienstmägde aus diesem Land evakuiert werden? Und was macht die Sozialisierung mit den Kindern Gileads?

Diese Fragen werden sehr eindrücklich und realistisch umrissen, die Antworten einem selbst überlassen. Nicht nur für Strafrechtsinteressierte, sondern auch für alle anderen Feminist*innen, Serienjunkies und Dystopieliebhaber*innen ist die Serie „Handmaids’s Tale“ insofern ein absolutes Muss! Die ersten vier Staffeln sind in Deutschland auf Amazon Prime verfügbar.

* Paula Roschig studiert Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Sie verfasste den Beitrag im Rahmen des Legal Labs Jura und Journalismus

Gefahr aus dem Netz

Gefahr aus
dem Netz

Ein Beitrag von Natalja Althauser*

*Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Sie verfasste den Beitrag im Rahmen des Legal Labs Jura und Journalismus

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In Hessen funktionieren die Tankstellen auf einmal nicht mehr, in Hamburg fallen die Kreditinstitute aus und in Sachsen-Anhalt wird eine Verwaltungsbehörde gehackt. Was klingt wie ein dystopisches Science-Fiction Drama oder der nächste James Bond, ist längst integraler Bestandteil in der Debatte um Cyber-Sicherheit.

Tatsächlich konstatiert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) jährlich steigende Angriffe aus dem Netz, sogenannte Cyber-Kriminalität. Manch einer spricht vom digitalen Wettrüsten und „hybrider Kriegsführung“. Selten lässt sich feststellen, ob es sich hierbei um staatliche oder nicht-staatliche Akteure handelt.

Was also passiert bei einem derartigen Cyber-Angriff und die wohl wesentlich spannendere Frage, (wie) kann sich der deutsche Staat dagegen wehren? Und welchen Unterschied macht es, ob der Angriff von einem anderen Staat oder aber einer Privatperson bzw. einer Bande ausgeht?

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Angriff und Verteidigung im digitalen Raum

Grundsätzlich sind Angriffe auf IT-Systeme denkbar, weil sowohl Soft-, als auch Hardware fehleranfällig sind. Fehlerquellen können sich aus der benutzen Programmiersprache, ebenso wie aus menschlichem Versagen ergeben.

Hinzu kommt, dass die Systeme ständig weiterentwickelt werden müssen, weil die Methoden der Angreifer die Schwachstellen kontinuierlich abtasten und ausnutzen. Dies setzt eine rasche Reaktionszeit voraus, um mögliche Lücken in dem eigenen Sicherheitsraster zu schließen.  

Neben reinen Abwehrmaßnahmen gibt es mit dem „Hackback“ daher Überlegungen, die Verteidigung hin zum Angreifer zu verlagern. Unter einem „Hackback“ (dt. Zurückhacken) versteht man offensive Cyber-Operationen, die Eingriffe in Computer-Systeme anderer Staaten vornehmen.  Vereinfacht ausgedrückt bedeutet es, den Angreifer in seinem eigenen System anzugreifen, während er von dort aus operiert oder einen Angriff vorbereitet. Hierbei stellt sich allerdings die Problematik, dass eine eindeutige Verfolgung bis zum Ursprung des Angreifenden nahezu unmöglich bzw. äußerst langwierig ist. Die Identifikation des Angreifers ist nicht ohne weiteres möglich. Somit ist der Angegriffene genötigt, selber fremde Netze zu attackieren oder komplett herunterzufahren, was möglicherweise mit erheblichen Kollateralschäden unbeteiligter Dritter einhergehen kann.

Die größte Herausforderung von Cyber-Maßnahmen stellt folglich die sicher Auswahl der Ziele dar. Dies gilt umso mehr, da diese Grenzen im digitalen Raum allzu leicht verschwimmen. Die klassischen Paradigmen von „Angriff“ und „Verteidigung“, von „innen“ und „außen“ lösen sich auf. Geographischen Grenzen und Territorialität sind keine relevanten Parameter für die Auswahl der Ziele.

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Angriffe durch andere Staaten: Die Rolle der Nachrichtendienste des Bundes

In einem Konzeptpapier von 2019 skizzierte die damalige Bundesregierung im Falle eines „Hackbacks“ ein vierstufiges Vorgehen. Sofern ein erheblicher Cyber-Angriff aus dem Ausland vorliegt, werden in den ersten beiden Stufen der schadhafte Datenverkehr blockiert.

Auf Stufe Drei sollen fremde Netze aktiv infiltriert werden, um Daten zu verändern oder zu löschen. Die vierte Stufe sieht eine gezielte Attacke gegen die gegnerische vor, um das „Herunterfahren“ bzw. das „Eindringen in Systeme“ zu erzwingen.

Das Konzeptpapier sieht weiterhin vor, dass zur Durchführung der BND zuständig sein solle, ggf. in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden.

Nun ist die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten aus Gründen des „Trennungsgebot“ ohnehin höchst umstritten. Aus historischen Gründen wollte man eine solche Kooperation nach 1945 vermeiden. Doch neben dem Streit, ob eine derartige Zusammenarbeit möglich sein soll, stellt sich die Frage, ob er der BND die (technischen und personellen) Kompetenzen zur Durchführung eines solchen Hackbacks hätte. Dass es für eine solche Cyber-Operation andere Kompetenzen bedarf, als auf den roten Knopf zu drücken, versteht sich von selbst.

Daneben dürfte auch die Frage streitig sein, ob nun bei solchen Cyber-Operationen der inländisch arbeitende Verfassungsschutz oder doch der ausländische operierende BND zuständig ist. Denn zweifelsohne kann und wird es Konstellationen geben, bei denen ein Angriff von einem fremden Staat ausgeht, er aber bspw. mithilfe inländischer rekrutierter Hilfspersonen agiert, sodass sowohl einen In- und Auslandsbezug aufzuweisen ist.

Und wie sieht es überhaupt mit einer gesetzlichen Grundlage aus?

Für die Nachrichtendienste des Bundes besteht keine gesicherte Gesetzesgrundlage. Ihre Aufgabe ist zunächst das Sammeln und Auswerten von Informationen, sprich die präventive Gefahrenerforschung. Die Gefahrenintervention obliegt anderen Behörden. Deshalb ist bisher ungeklärt, ob die Nachrichtendienste sich auf das Sammeln und Auswerten von Daten beschränken müssen oder ob sie auch aktiv tätig werden dürfen.

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Angriffe durch andere Staaten: Die Rolle der Bundeswehr

Neben den Nachrichtendiensten des Bundes, zu denen der Verfassungsschutz, der BND und der MAD zählen, wurde daher auch die Rolle der Bundeswehr diskutiert.

Die Bundeswehr beteiligt sich seit einigen Jahren an Trainings zur Durchführung von Cyber-Operationen. Seit 2017 sind 13.500 Soldatinnen und Soldaten für Cyberoperationen der Bundeswehr abgestellt.

Allerdings muss zum Tätigwerden der Bundeswehr eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Die Bundesregierung hat eine Offensiv-Maßnahme nach Maßgaben eines „Hackbacks“ als bewaffneten Angriff nach Artikel 51 der VN-Charta qualifiziert. Der Einsatz deutscher Streitkräfte im Cyberraum muss sich demnach an denselben rechtlichen Maßstäben wie jeder andere Bundeswehreinsatz auch messen lassen.

Art. 26 Abs. 1 Grundgesetz verbietet nicht erst das Führen eines Krieges, sondern bereits vorbereitende Handlungen. Dies gilt selbstverständlich nicht für Verteidigungsmaßnahmen. Deshalb können „Hackbacks“ nur als Verteidigungsmaßnahmen eingesetzt werden. Die Verfassungshürden sind demnach denkbar hoch. Ein Eingreifen der Bundeswehr aufgrund einiger gehackter Tank- oder Verwaltungsstellen dürfte deshalb nicht zulässig sein.

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Angriffe durch Privatpersonen

Wer in den letzten Jahren die mediale Berichterstattung aufmerksam beobachtet hat, wird feststellen, dass die Zahl der Bekanntmachungen von Cyber-Angriffen deutlich zugenommen hat. Auch in jüngster Zeit werden Unternehmen und private Organisationen vielfach zur Zielscheibe ausländischer Hacker-Angriffe, die von Privatpersonen bzw. kriminellen Vereinigungen ausgeübt wurden.

Im Gegensatz zu den staatlichen Akteuren kommt es den Hacker-Gruppierungen darauf an, die Daten und den eMail-Verkehr des Unternehmens zu verschlüsseln, um sodann ein Lösegeld für die Freigabe zu fordern. Das Nutzen einer solche Erpressungssoftware (engl. „ransomware“) ist vorallem nach § 253 StGB als Erpressung strafbar.

Hier sind im nationalen Kontext zunächst die Strafverfolgungsbehörden zuständig. Die Herausforderung bleiben dieselben wie oben genannt: ist der Server rückverfolgbar und wenn ja, wer sitzt dahinter? Denn theoretisch können die Hacker weltweit arbeiten, sofern sie nur funktionales WLAN haben, um sich ins Netz einzuwählen. Kleine Polizeidienststellen werden daher vermutlich schnell an die fachlichen und auch personellen Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn ein solcher Angriff angezeigt wird. Unerlässlich ist daher die internationale Zusammenarbeit zwischen einzelnen Strafverfolgungsbehörden – das hat der Fall „Hive“ und die Kooperation des FBI, EuroPol und der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eindrucksvoll gezeigt. In den meisten Fällen gelingt es den Ermittlern relativ schnell die verantwortlichen Server runterzufahren. Eine damit verbundene Detektion der dahinter sitzenden Akteure ist damit leider nicht verbunden, sodass mit dem Herunterfahren des Servers die Suche nach den eigentlichen Machern erst beginnt.

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Fazit

Schädliche Cyber-Aktivitäten und die sicherheitspolitischen Reaktionen sind komplex. In einer sich immer rasanter entwickelnden, technologisch vernetzten Welt sind vor allem flexible Reaktionen notwendig. Ganz gleich ob staatliche Akteure oder Private dahinterstecken, der Cyber-Raum zeigt, dass die Übergänge zwischen Gefahrenverdacht und Gefahrenabwehr zeitlich parallel verlaufen: eine Abgrenzung von defensiven und offensiven Maßnahmen, Territorialität und Verantwortlichkeit sind nur einige der Herausforderungen, die der digitale Raum bereithält. Richtigerweise sind die Nachrichtendienste daher auch als Gefahrenabwehrbehörde anzusehen und mit entsprechenden Befugnissen auszustatten. Gerade auch im Hinblick auf europäische oder transatlantische Kooperationen könnte eine Vereinheitlichung in den kommenden Jahren sogar eine zwingende Voraussetzung für mögliche Kooperationen darstellen.

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