Wissenschaftskommunikation
Unsere Doktorand:innen stellen ihre Arbeiten vor.
Jugendstrafrecht
Katharina Steffen
Jede/r kann Recht sprechen?
Im Namen des Volkes – ein empirisches Forschungsprojekt zur Mitwirkung von Schöffinnen und Schöffen an Strafverfahren
Vanessa Kempe
In Deutschland sprechen Richterinnen und Richter Recht – doch was so einige überrascht: Auch juristische Laien, also Menschen ohne juristische Ausbildung und ohne vertiefte Rechtskenntnisse, wirken regelmäßig an Strafurteilen mit. Diese sogenannten Schöffinnen und Schöffen sitzen gemeinsam mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern auf der Richterbank und entscheiden mit ihnen über Schuld und Strafe. Sie sollen ein Stück gesellschaftliche Wirklichkeit ins Gericht bringen und stehen für demokratische Teilhabe an der Justiz: Durch ihre Beteiligung soll die Legitimität gerichtlicher Entscheidungen gesichert werden, sodass Urteile tatsächlich „im Namen des Volkes“ ergehen. Die Schöffinnen und Schöffen sollen etwaige Defizite im sozialen Erfahrungswissen der Berufsrichter ausgleichen und Sorge dafür tragen, dass die Entscheidungen der Strafgerichte für die Allgemeinheit verständlich, nachvollziehbar und akzeptabel sind.
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Auf den ersten Blick mag sich der Gedanke aufdrängen, dass die Schöffen aufgrund ihres Laienstatus sicher keinen wesentlichen Einfluss auf die Urteilsfindung nehmen können. Doch auch wenn sie keine Robe tragen, sind Schöffen in und während der Hauptverhandlung den Berufsrichtern formal gleichgestellt.[1] Sie sind keine bloßen Zuschauer, sondern rechtlich gleichberechtigte Mitentscheider, die den Berufsrichter im Einzelfall sogar überstimmen können. Ihnen fällt somit – zumindest auf dem Papier – eine erhebliche Gestaltungsmacht zu.

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​Schöffinnen und Schöffen kommen am Amts- und Landgericht in unterschiedlichen Strafkammern zum Einsatz. Nach §§ 30 Abs. 1, 77 GVG verfügen die Schöffinnen und Schöffen über das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter. Für eine Verurteilung ist gem. § 263 Abs. 1 StPO eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Das bedeutet: Schöffen können eine Verurteilung verhindern – auch gegen die Überzeugung der Berufsrichter.​​​​​​​​​​​
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Nicht alle sehen diese Partizipationsmöglichkeit unkritisch und zeigen sich mitunter irritiert darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Strafjustiz einem „Profi“ ein „Laie“ mit gleicher Entscheidungsgewalt zur Seite gestellt wird. So wird etwa der Vergleich zu einer Operation am offenen Herzen gezogen, bei der dem Chirurgen „ein Passant von der Straße, bewaffnet mit einem Skalpell, zu Seite gestellt [wird], der, wenn er es für nötig erachtet, selbst einen Schnitt setzten darf“.[2] Regelmäßig wird von Seiten der Praxis zudem der unverhältnismäßig hohe bürokratische Aufwand kritisiert und von einigen Rechtswissenschaftlern die Wirkmacht der Schöffen gleich ganz in Frage gestellt – von bloßen „Statisten“[3] und einer „blinden Kontrollinstanz“[4] ist die Rede.
Welchen Einfluss haben die Schöffen also tatsächlich auf die Strafzumessung? Können sie – auch aus Sicht der Berufsrichter – bei Gericht etwas Sinnvolles beitragen? Wie gelangen Schöffen und Berufsrichter zu einem gemeinsamen Strafmaß? Wie werden Meinungsverschiedenheiten aufgelöst? Und wie oft überstimmen Schöffen Berufsrichter?
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Gerade in Zeiten in denen sich nur noch 27 Prozent der Deutschen ab 16 Jahren darauf verlassen möchten, dass bei Gericht alles mit rechten Dingen zugeht[5] und Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland die Urteile der Strafgerichte für zu milde hält[6], mag das Schöffenamt erhebliches Potenzial dafür bieten, den oft beklagten Graben zwischen „den Richtern“ und „den Bürgern“ zu schließen und so zur Akzeptanz der Justiz und der Stärkung des Rechtsstaates beizutragen.
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Auf der anderen Seite sind in jüngerer Zeit auch Entwicklungen zu beobachten, die Anspruch und Sinn des Schöffenamtes zuwiderlaufen. So wird eine politische Instrumentalisierung durch populistische und extreme Gruppierungen gefürchtet.​​​​​​​​​​​​​​​​​​​

Eine Politisierung des Schöffenamtes ist aus rechtsstaatlicher Perspektive besorgniserregend. Es zählt zu den zentralen Grundsätzen unseres Rechtsstaates, dass die Judikative – zu der auch die ehrenamtlichen Richter zählen[2] – neutral und unparteiisch ist; das setzt eine persönliche wie sachliche Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter voraus.[3] Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 klargestellt, dass auch die Schöffen zu besonderer Verfassungstreue verpflichtet sind.[4] Unabhängig davon existieren nur wenige Ausschlussgründe für das Schöffenamt – etwa, wenn jemand unter 25 oder über 70 Jahre alt ist oder wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurde.[5] Formal betrachtet kann also fast jede/r Recht sprechen!
Wer sind nun genau unsere Schöffen? Sie wirken im „Namen des Volkes“ an der Rechtsprechung mit – bilden Sie es denn hinreichend ab? Laut Gesetz sollen bei der Schöffenwahl alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigt werden (vgl. § 36 Abs. 3 GVG sowie § 42 Abs. 2 GVG). Inwieweit gelingt das in der Praxis? Finden sich tatsächlich zunehmend extremistische Personen unter den Schöffen?
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Auch kam es bei der Schöffenwahl 2024 in Sachsen zu Problemen. Insbesondere in Leipzig und Dresden konnten die nötigen Vertrauenspersonen für die Wahlausschüsse nicht fristgerecht gewählt werden.[11] Derartige Verzögerungen und Blockaden gefährden die Handlungsfähigkeit der Strafjustiz[12] – und die Stabilität unseres Rechtsstaates. So droht in diesen Fällen nicht nur eine Verschleppung von Strafverfahren, sondern schlimmstenfalls auch, dass Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten, was potenziell einen erheblichen Vertrauensverlust in den Rechtsstaat zur Folge haben könnte.[13]
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Das Schöffenamt ist deshalb erneut ins Zentrum rechtspolitischer Diskussionen gerückt. Es werden Reformen – und sogar eine offene Debatte über eine mögliche Abschaffung des Instituts gefordert.​​​​​​​​​

Angesicht der neueren Entwicklungen besteht Bedarf an einer aktuellen und umfassenden Betrachtung der Laienbeteiligung an Strafverfahren. Reformvorhaben lassen sich erfahrungsgemäß gezielter entwickeln und wirksamer umsetzen, wenn sie auf empirischen Erkenntnissen basieren. Unser Lehrstuhl will hier einen Beitrag leisten. Im Rahmen des empirischen Forschungs- und Promotionsvorhabens „Im Namen des Volkes – eine empirische Untersuchung zur Mitwirkung von Schöffinnen und Schöffen am Strafverfahren“ werden daher unter anderem die Zusammensetzung, die Funktion, die öffentliche Wahrnehmung, mögliche Politisierungstendenzen sowie der tatsächliche Einfluss der Schöffinnen und Schöffen auf die Urteilsfindung in der deutschen Strafjustiz untersucht. Die gewonnen Erkenntnisse sollen dazu beitragen, künftige Reformdiskussionen fundiert zu begleiten und durch eigene Überlegungen konstruktiv zu bereichern.​​​
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[1] Vgl. dazu §§ 30 Abs. 1, 77 GVG sowie §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG.
[2] Gerson, KriPoZ 2017, 104, 108.
[3] Rönnau, GS Weßlau, 2016, 293 (300).
[4] Lilie, FS Riess, S. 303, 315.
[5] Roland Rechtsreport 2024, Teil A, S. 20.
[6] Roland Rechtsreport 2024, Teil A, S. 18 f.; Hoven/Weigend, ZStW 133 (2021), 322, 332.
[7] Vgl. dazu auch § 1 DRiG.
[8] Vgl. Art. 97 Abs. 1 GG i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 1 DRiG, § 25 DRiG, § 1 GVG.
[9] BVerfG, Beschl. v. 06.05.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568 (2569).
[10] Zu den übrigen Ausschlussgründen, vgl. §§ 32, 33, 34, 77 GVG.
[11] Süddeutsche, „Sachsen drängt auf Schutz der Schöffenwahl“, vom 13.05.2025, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/panorama/ehrenamtliche-gerichtsbarkeit-sachsen-draengt-auf-schutz-der-schoeffenwahlen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-250513-930-537132 (letzter Abruf: 15.05.2025).
[12] Freie Presse, „Sachsen drängt auf Schutz der Schöffenwahl“, vom 13.05.2025, abrufbar unter: https://www.freiepresse.de/nachrichten/sachsen/sachsen-draengt-auf-schutz-der-schoeffenwahlen-artikel13808838 (letzter Abruf: 15.05.2025).
[13] Süddeutsche, „Sachsen drängt auf Schutz der Schöffenwahl“, vom 13.05.2025, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/panorama/ehrenamtliche-gerichtsbarkeit-sachsen-draengt-auf-schutz-der-schoeffenwahlen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-250513-930-537132 (letzter Abruf: 15.05.2025).
Tierschutzrecht
Johanna Moehl
Kryptowährungen und Strafrecht - Eine juristische Bestandsaufnahme
David Thomas
Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum sind aus dem modernen Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Seit der Veröffentlichung des Bitcoin-Whitepapers im Jahr 2008 haben sich digitale Währungen rasant weiterentwickelt und einen festen Platz im Finanzsystem erobert.
Gleichzeitig stellen Kryptowährungen die Strafverfolgungsbehörden und die Strafrechtswissenschaft vor erhebliche Herausforderungen. Die Dezentralität der Systeme, der weitgehende Verzicht auf zentrale Kontrollinstanzen sowie die Möglichkeit anonymer Transaktionen eröffnen neue Handlungsspielräume – nicht nur für Nutzer, sondern auch für Kriminelle.
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Das Dissertationsprojekt widmet sich der Frage, wie das deutsche Strafrecht mit diesen neuen Phänomenen umgeht. Im Zentrum steht die Untersuchung sogenannter Kryptowährungskriminalität – also solcher Straftaten, bei denen Kryptowährungen entweder Tatobjekt (z. B. bei der Entwendung von Coins) oder Tatmittel (etwa zur Bezahlung illegaler Dienstleistungen) sind. Auch neuartige Erscheinungsformen wie die unberechtigte Nutzung fremder Rechner zum „Mining“ neuer Einheiten (etwa durch Schadsoftware) werden analysiert.
Dabei zeigt sich: Das Strafgesetzbuch stößt an seine Grenzen. Viele der heute relevanten Technologien existierten bei der Entstehung zentraler Strafnormen noch nicht. Kryptowährungen lassen sich weder eindeutig als „Sache“ noch als „Geld“ im klassischen strafrechtlichen Sinne einordnen. Infolgedessen wird ihre strafrechtliche Erfassung häufig über Hilfskonstruktionen wie die Daten- oder Vermögensdelikte versucht – mit teils unbefriedigenden Ergebnissen. So können etwa identische Vermögensschäden bei digitalen Währungen je nach rechtlicher Einordnung unterschiedlich scharf bestraft werden, was zu Wertungswidersprüchen und Schutzlücken führen kann.
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Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Frage, wann das deutsche Strafrecht überhaupt anwendbar ist, und deutsche Behörden ermitteln müssen. Viele Straftaten mit Kryptowährungen werden grenzüberschreitend begangen – etwa über Plattformen im sogenannten Darknet. Besonders komplex wird dies, wenn Transaktionen über ein weltweites Netzwerk abgewickelt werden. In solchen Fällen ist oftmals unklar, wo der „Erfolg“ der Tat im Sinne des Strafgesetzbuches eintritt – ein zentraler Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung.

Darüber hinaus wird auch untersucht, warum sich das deutsche Strafrecht mit der Erfassung digitaler Technologien so schwertut. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Verhältnis von Technik und Recht: Technologischer Fortschritt vollzieht sich in rasantem Tempo, während das Recht oftmals nur reaktiv auf neue Entwicklungen antworten kann. Diese Verzögerung – auch als „legal lag“ bezeichnet – wird insbesondere im Bereich des Strafrechts problematisch, da hier der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (Art. 103 Abs. 2 GG) gilt und strafrechtliche Lücken nicht einfach durch Analogie geschlossen werden dürfen.
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Das Forschungsvorhaben verfolgt das Ziel, diese Lücken systematisch zu erfassen, und konkrete Reformvorschläge zu entwickeln. Dazu gehört unter anderem die Diskussion eines neuen Straftatbestands, der die Besonderheiten digitaler Vermögenswerte berücksichtigt und die bestehende Trennung zwischen Daten- und Vermögensdelikten sinnvoll überbrückt. Ergänzend werden auch internationale Regelungsansätze beleuchtet, etwa zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen.
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Insgesamt versteht sich das Projekt als Beitrag zu einer zukunftsfähigen Ausgestaltung des Strafrechts, das den digitalen Wandel nicht nur nachvollzieht, sondern aktiv mitgestaltet.

Dieses Angebot wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.
Restorative Justice
Jan Schriever